Tales of the Shire: A Shire Thing – Wenn Hobbit-Idylle auf düstere Zukunft trifft

Die beschauliche Welt des Auenlands hat schon immer eine besondere Anziehungskraft auf Spieler ausgeübt. Mit „Tales of the Shire: A Shire Thing“ wagt sich Entwickler Wētā Workshop nun an eine Lebenssimulation, die zwischen den Ereignissen von „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ angesiedelt ist. Doch hinter der friedlichen Fassade von Bywater lauert das Wissen um kommende Katastrophen – und genau diese Spannung macht das Spiel zu einer faszinierenden Erfahrung.

Willkommen in Bywater: Zwischen Idylle und Vorahnung

Als frisch gebackener Hobbit-Bewohner von Bywater erwartet Spieler zunächst genau das, was man sich unter einer gemütlichen Auenland-Simulation vorstellt: sanft geschwungene Hügel, liebevoll gestaltete Hobbit-Höhlen und ein Alltag, der sich um die wirklich wichtigen Dinge dreht – Second Breakfast, Gartenarbeit und nachbarschaftliche Plaudereien. Publisher Private Division und Wētā Workshop haben eine Welt erschaffen, die Tolkiens Vision von hobbitischer Gemütlichkeit perfekt einfängt.

Die zeitliche Einordnung ist dabei besonders clever gewählt: Bilbo und Frodo sind bereits Teil der Gemeinde, während ein junger Samwise Gamgee erste schüchterne Blicke zu Rosie Cotton wirft. Etwa zwei Jahrzehnte trennen diese friedliche Zeit noch von den dramatischen Ereignissen, die das Auenland erschüttern werden – genug Zeit für unbeschwerte Abenteuer, könnte man meinen.

Gameplay zwischen Gartenarbeit und Gemeinschaftspflege

Das Herzstück von „Tales of the Shire“ bildet ein entspanntes Gameplay-Loop, das sich wohltuend von actionlastigen Titeln abhebt. Spieler gestalten nicht nur ihre eigene Hobbit-Höhle nach persönlichen Vorlieben, sondern werden zu einem aktiven Teil der Bywater-Gemeinde. Der Tagesablauf folgt dabei einem gemächlichen Rhythmus:

Morgens kümmert man sich um den eigenen Garten, wo Karotten, Kohl und natürlich die besten Tomaten des Auenlands gedeihen. Die Ernte wandert direkt in die Küche, wo ausgefeilte Kochrezepte auf ihre Umsetzung warten. Das Kochen selbst ist dabei mehr als nur eine Nebenbeschäftigung – es bildet das soziale Fundament des Spiels. Wer seine Nachbarn zum Second Breakfast einlädt und ihre kulinarischen Vorlieben trifft, knüpft Freundschaften, die sich auf vielfältige Weise auszahlen.

Der Dorfplatz von Bywater fungiert als sozialer Hub, wo sich die verschiedenen Storylines der Bewohner kreuzen. Old Noakes verteilt hier großzügig Geschenke wie handgefertigte Angelruten, während Farmer Cotton ambitionierte Pläne für die Entwicklung der Gemeinde schmiedet. Die Green Dragon Taverne lädt abends zu geselligen Runden ein, bei denen Geschichten ausgetauscht und neue Quests freigeschaltet werden.

Das Who's Who von Bywater: Nachbarn mit Schattenseiten

Die Charaktere, die Bywater bevölkern, sind liebevoll ausgearbeitet und folgen dennoch typischen Hobbit-Archetypen. Da wäre etwa Orlo, der fleißige Postbote, dessen Name allerdings aufhorchen lässt. Tolkien-Kenner wissen um die Bedeutung der Silbe „or“ in der Nomenklatur Mittelerdes – von Mordor über Morgoth bis zu den Orks zieht sich diese Lautkombination wie ein roter Faden durch die Riege der Antagonisten. Ob Orlos harmlose Fassade Absicht oder Zufall ist, bleibt offen.

Noch beunruhigender ist die Präsenz von Ted Sandyman, dessen Familie in der späteren „Säuberung des Auenlands“ eine unrühmliche Rolle spielen wird. Diese Begegnungen erhalten durch das Vorwissen der Spieler eine beklemmende Doppeldeutigkeit – jeder freundliche Gruß könnte der eines zukünftigen Verräters sein.

Die Tragik der Idylle: Wenn Vorwissen zur Last wird

Was „Tales of the Shire“ von anderen Cozy Games unterscheidet, ist die unterschwellige Tragik, die über allem schwebt. Spieler, die Tolkiens Werk kennen, wissen: Diese grünen Hügel werden zu Industriebrachen verkommen, die gemütlichen Hobbit-Höhlen werden Schurken und Halb-Orks weichen müssen. Saruman wird gemeinsam mit Lotho Sackville-Baggins ein totalitäres Regime errichten, das alles zerstört, was das Auenland ausmacht.

Die Schlacht von Bywater, die 19 Hobbits das Leben kosten wird, wirft bereits ihre Schatten voraus. Jeder gepflanzte Baum, jedes liebevoll zubereitete Mahl, jede geknüpfte Freundschaft – alles steht unter dem Damoklesschwert kommender Zerstörung. Diese Spannung zwischen gegenwärtiger Idylle und zukünftigem Grauen verleiht dem Spiel eine melancholische Note, die es von Genre-Kollegen wie „Animal Crossing“ oder „Stardew Valley“ abhebt.

Technische Umsetzung: Mittelerde in Pastell

Visuell präsentiert sich „Tales of the Shire“ als gelungene Übersetzung von Tolkiens Auenland in interaktive Form. Die Entwickler von Wētā Workshop, die bereits für die Filmtrilogie verantwortlich zeichneten, bringen ihre Expertise gekonnt ein. Die Hobbit-Höhlen sind bis ins kleinste Detail liebevoll gestaltet, während die Landschaft in warmen Farbtönen erstrahlt, die die Gemütlichkeit perfekt unterstreichen.

Die Charaktermodelle orientieren sich an einem stilisierten Look, der zwischen Realismus und Cartoon-Ästhetik balanciert. Diese Designentscheidung macht das Spiel zugänglich, ohne die Ernsthaftigkeit des Tolkien-Universums zu untergraben. Besonders die Animationen der Hobbits beim Essen und Trinken sind mit einer Liebe zum Detail umgesetzt, die jeden Second-Breakfast-Moment zu einem kleinen Fest macht.

Fazit: Cozy Gaming mit Tiefgang

„Tales of the Shire: A Shire Thing“ ist mehr als nur eine weitere Lebenssimulation. Es ist eine Meditation über Vergänglichkeit, verpackt in das kuschelige Gewand einer Hobbit-Idylle. Wētā Workshop und Private Division haben ein Spiel geschaffen, das auf mehreren Ebenen funktioniert: Als entspannende Alltagsflucht für Gelegenheitsspieler, als liebevolle Hommage an Tolkiens Werk für Fans und als überraschend vielschichtiges Narrativ für alle, die zwischen den Zeilen lesen.

Die Stärke des Spiels liegt gerade in diesem Kontrast zwischen dem, was ist, und dem, was kommen wird. Jeder friedliche Moment in Bywater wird kostbar, wenn man weiß, dass er nicht von Dauer sein wird. Diese bittersüße Note hebt „Tales of the Shire“ aus der Masse der Cozy Games heraus und macht es zu einer Erfahrung, die noch lange nachhallt – genau wie die besten Geschichten aus Mittelerde.

Wer bereit ist, sich auf diese besondere Mischung aus Gemütlichkeit und Melancholie einzulassen, findet in „Tales of the Shire“ ein Spiel, das die DNA des Auenlands perfekt einfängt: oberflächlich betrachtet simpel und friedlich, doch mit einer Tiefe, die sich erst beim genaueren Hinsehen offenbart. Ein Muss für Tolkien-Fans und alle, die ihr Cozy Gaming mit einer Prise Weltschmerz würzen möchten.

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